Kategorien-Archiv Verkehrsrecht

VonHagen Döhl

Fahrtenbuchauflage muss begründet sein

Das VG Hamburg hat entschieden, dass ein Fahrtenbuch nicht ohne weiteres angeordnet werden kann, vielmehr muss der Betroffene nachweisbar über seinen Verkehrsverstoß rechtzeitig informiert worden sein und die Polizei muss ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen sein.
Das sei aber nicht der Fall, wenn nicht nachweisbar ist, dass zwei Anhörungsbogen versendet wurden. Es sei auch nicht ausreichend, den Betroffenen nur an seinem Wohnort aufzusuchen, so das Verwaltungsgericht.

Der Autobesitzer ist als selbstständiger Sachverständiger für Straßenunfälle tätig. Mit seinem Auto wurde ein Geschwindigkeitsverstoß begangen. Außerhalb einer geschlossenen Ortschaft war das Fahrzeug 44 km/h zu schnell unterwegs. Das Blitzerfoto zeigte eine Frau mit langen blonden Haaren und Brille. Die Behörde gab an, dem Mann zwei Zeugenfragebögen übersandt zu haben. Sie erhielt hierauf keine Reaktion. Über den Versand der automatisiert erstellten Schreiben gab es keine Dokumentation. Daraufhin bat die Polizei den Mann schriftlich zur Vernehmung als Zeuge. Das Fahrerfoto fügte sie nicht bei. Die Polizei suchte mehrfach die Adresse des Betroffenen auf. Eine Ladung wurde persönlich in den Briefkasten geworfen. Der Mann entschuldigte sich, er sei im Urlaub gewesen. Dann sollte soll ein neues Gespräch stattfinden. Strittig blieb dabei, ob die Polizei darauf hingewiesen hatte, dass die Ermittlungsakte bereits wieder zurückgesandt worden war. Dem zweiten Termin kam der Mann nicht nach. Mit der Begründung, dass zu schnelles Fahren eine der Hauptunfallursachen sei, wurde er verpflichtet, zwölf Monate lang ein Fahrtenbuch zu führen. Dagegen wehrte sich der Mann.

Das VG Hamburg hat entschieden, dass die Auflage, ein Fahrtenbuch zu führen, rechtswidrig war.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts konnte die Behörde nicht nachweisen, dass die Anhörungsbögen tatsächlich verschickt worden waren. In diesen Fällen gebe es auch keine Fiktion des Empfangs der Schreiben. Dies sei nur möglich, wenn tatsächlich auch der Versand der Schreiben in der Akte dokumentiert werde. Dies sei hier nicht der Fall. Demnach habe der Mann nicht rechtzeitig von dem Verkehrsverstoß erfahren und also auch nicht rechtzeitig an der Aufklärung mitwirken können.
Für das Gericht sei auch nicht nachvollziehbar, warum die Polizei die Fahrerin nicht vor der Verfolgungsverjährung hätte feststellen können. Zunächst einmal hätte mindestens der zweite Anhörungsbogen mit Zustellungsnachweis versendet werden können. Eine gesetzliche Vermutung für den Zugang eines Anhörungsbogen bei einer Ordnungswidrigkeit gebe es nicht. Selbst bei einer nachweislichen Versendung sei nicht belegt, dass diese nicht falsch eingeworfen worden sei.

Die Anordnung eines Fahrtenbuchs greife erheblich in die allgemeine Handlungsfreiheit des Fahrers ein. Daher sei ein „rechtsstaatliches Verfahren“ unabdingbar. Auch in Massenverfahren müsse der Sachverhalt sauber ermittelt werden. Dies sei hier nicht geschehen. Der Mann habe sich mit seinem Urlaub entschuldigt. Er habe sich also der Mitwirkung nicht verweigert. Auch reiche das alleinige Aufsuchen der Wohnanschrift nicht aus, insbesondere nicht bei berufstätigen Personen. Eine Recherche hätte ergeben, dass der Betroffene nur 200 Meter entfernt sein Sachverständigenbüro habe. Man hätte ihn dort aufsuchen können.
Auch bei einer einfachen Internetsuche hätte die Polizei außerdem feststellen können, dass ein Zeitungsfoto der Frau des Fahrzeughalters dem Blitzerfoto ähnele. Da all dies nicht erfolgte, muss der Mann kein Fahrtenbuch führen.
Quelle: Pressemitteilung des DAV Nr. 31/2019 v. 26.08.2019

VonHagen Döhl

Geschwindigkeitsverstoß: Polizeiliche Schätzung allein reicht nicht

Das AG Dortmund hat entschieden, dass eine Beurteilung der nicht angepassten Geschwindigkeit durch eine polizeiliche Schätzung ohne weitere tatsächliche Feststellungen als Verurteilungsgrundlage nicht ausreichend ist, wenn insbesondere Feststellungen zu einem besonderen Fahrverhalten oder dessen Auswirkung auf andere Verkehrsteilnehmer fehlen.
(AG Dortmund  29.11.2018  – 729 OWi 379/17, 729 OWi – 261 Js 2511/17 – 379/17)

VonHagen Döhl

Verkehrsunfall: Haftpflichtquote bei verbotswidrig geparkten Kfz

Stößt ein in innerörtlichen Wohngebiet fahrender Pkw gegen einen rechtsverbotswidrig geparkten Pkw, obwohl noch genügend Platz zur Vorbeifahrt gewesen wäre, so trifft den Halter des Pkw jedenfalls dann ein Mithaftungsanteil von ¼ des entstandenen Schadens, wenn es dunkel war und das parkende Fahrzeug nach der konkreten Lage eine Gefährdung für den fließenden Verkehr bildete.

(OLG Frankfurt, Urteil vom 15.03.2018 – 16 U 212/17)

VonHagen Döhl

Falsche Verdächtigung – nur bei tatsächlich existierenden Personen

Die Benennung einer Person wider besseres Wissens als Führer des Kfz zum Zeitpunkt der Ordnungswidrigkeit, die es in Wahrheit gar nicht gibt, ist zwar geeignet, ein behördliches Verfahren im Sinne der falschen Verdächtigung – nämlich ein Bußgeldverfahren – auszulösen. Eine Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung kommt aber nicht in Betracht, denn die Behauptung muss sich auf eine in Wirklichkeit existierende Person beziehen.

(OLG Stuttgart, Urteil vom 22.02.2018 – 4 RV 25 SS 982/17)

VonHagen Döhl

Schadensersatz nach Kfz-Unfall: Unfallverursacher trägt Werkstattrisiko

Das AG München hat entschieden, dass der Verursacher eines Autounfalls das Risiko überhöhter Instandsetzungsrechnungen trägt.

(AG München 332 C 4359/18)

VonHagen Döhl

Schadensersatz nach Kfz-Unfall: Unfallverursacher trägt Werkstattrisiko

Das AG München hat entschieden, dass der Verursacher eines Autounfalls das Risiko überhöhter Instandsetzungsrechnungen trägt.
(AG München  332 C 4359/18)

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Vorrang für Straßenbahn gilt auch bei Grünphase für Kraftfahrzeuge

Das OLG Hamm hat entschieden, dass Straßenbahnen auch dann Vorrang haben, wenn die Ampel einer über die Schienen führenden Fahrspur für Kraftfahrzeuge grün ist.
(OLG Hamm 13.06.2018 7 U 36/17)

VonHagen Döhl

Keine Haftung des Aufsichtspflichtigen für fahrradfahrende Kinder

Das LG Koblenz hat entschieden, dass der Aufsichtspflichtige nicht haftet, wenn Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren beim Fahrradfahren zu dicht an geparkte Autos geraten und Schäden verursachen.
(LG Koblenz 7.05.2018   13 S 2/18)

VonHagen Döhl

Mithaftung bei Überschreiten der Richtgeschwindigkeit

Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen um 70 km/h (200 km/h statt 130 km/h) auch im Falle eines unzulässigen Spurwechsels eine Anrechnung der Betriebsgefahr im Umfang von 30% zu rechtfertigen vermag.
(OLG Düsseldorf 1. Zivilsenat  I-1 U 44/17)

VonHagen Döhl

Angabe einer nicht existierenden Person im Anhörungsbogen: Freispruch des Verkehrsteilnehmers

Das OLG Stuttgart hat den Freispruch eines Verkehrsteilnehmers bestätigt, der im Bußgeldverfahren eine nicht existierende Person in den Anhörungsbogen eintragen ließ, um so insbesondere dem Fahrverbot zu entgehen.

Das OLG Stuttgart hatte über eine Revision der Staatsanwaltschaft Tübingen zu entscheiden, die sich gegen einen Freispruch eines Angeklagten durch das LG Tübingen richtete. Der Angeklagte hatte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen in einem gegen ihn gerichteten Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit einen Dritten veranlasst, eine nicht existierende Person als vermeintlichen Fahrzeuglenker anzugeben. Dadurch erreichte er, dass die Bußgeldbehörde innerhalb der Verjährungsfrist gegen ihn kein Bußgeld verhängte und kein Fahrverbot anordnete.
Nachdem das AG Reutlingen den Angeklagten in erster Instanz wegen falscher Verdächtigung verurteilt hatte, hat das LG Tübingen den Angeklagten in der Berufungsinstanz aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war im Juni 2015 mit einem PKW auf der B 27 in Richtung Tübingen gefahren. Es wurde ihm vorgeworfen, er habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 58 km/h überschritten. Für diese Verkehrsordnungswidrigkeit ist eine Regelgeldbuße von 480 Euro und ein Regelfahrverbot von einem Monat vorgesehen. Das für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit zuständige Landratsamt sandte dem Angeklagten einen Anhörungsbogen zu. Der Angeklagte wollte verhindern, wegen der Ordnungswidrigkeit belangt zu werden. Er wandte sich deshalb an eine unbekannt gebliebene Person, die auf einer Internetseite damit warb: "Ich übernehme Ihre Punkte und Ihr Fahrverbot für Sie". Gemäß der mit dieser Person getroffenen Absprache ließ der Angeklagte ihr per E-Mail das Anhörungsschreiben der Bußgeldbehörde zukommen und überwies ihr im Gegenzug 1.000 Euro auf ein Schweizer Bankkonto. Im weiteren Verlauf füllte eine andere Person als der Angeklagte den Anhörungsbogen handschriftlich aus, gab den Verstoß zu und erklärte, sie sei der zur Tatzeit verantwortliche Fahrer, wobei sie den Namen einer tatsächlich nicht existenten Person unter einer Karlsruher Adresse angab. Daraufhin erließ das Landratsamt gegen die in Wirklichkeit nicht existierende Person einen Bußgeldbescheid und stellte zugleich das Verfahren gegen den Angeklagten ein. Bis das Landratsamt von der Polizei in Karlsruhe erfuhr, dass es eine Person mit den angegebenen Personalien tatsächlich nicht gibt, war bereits Verfolgungsverjährung hinsichtlich der vom Angeklagten begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit eingetreten, so dass er deshalb endgültig nicht mehr belangt werden konnte.

Die gegen das freisprechende Urteil des Landgerichts gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft Tübingen hatte keinen Erfolg. Das OLG Stuttgart hat den Freispruch bestätigt, weil das festgestellte Verhalten des Angeklagten keinen Straftatbestand erfüllt.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat sich der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht wegen falscher Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 2 StGB strafbar gemacht. Er habe diesen Tatbestand deshalb nicht verwirklicht, weil er die falsche Behauptung nicht in Bezug auf eine andere tatsächlich existierende Person aufgestellt hat. "Ein anderer", wie ihn § 164 Abs. 2 StGB voraussetzt – so das Oberlandesgericht bei einer Auslegung nach Wortsinn, Systematik, Zweck des Gesetzes und Historie – müsse eine tatsächlich existierende Person sein. § 164 StGB schütze neben der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege im weiteren Sinne vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme auch den Einzelnen vor ungerechtfertigten Verfahren und anderen Maßnahmen irregeführter Behörden. Grenze richterlicher Auslegung zu Ungunsten des Täters sei allerdings wegen des grundgesetzlich verankerten Analogieverbots der mögliche Wortsinn der Norm. Auch die historische Auslegung der Norm ergebe, dass der Gesetzgeber in § 164 StGB nur die falsche Verdächtigung einer bestimmten existierenden Person unter Strafe stellen wollte; gerade deswegen wurde § 145d StGB (Vortäuschen einer Straftat) als eine bewusste Reaktion des Normgebers auf die "Strafbarkeitslücke" des § 164 StGB ausdrücklich auch in Bezug auf das Verdächtigen einer nicht existenten oder nicht bestimmbaren Person geschaffen, aber eben nur hinsichtlich einer Straftat und nicht wie hier bezüglich einer Ordnungswidrigkeit.

Das Oberlandesgericht hat schließlich noch überprüft, ob der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen andere Straftatbestände verwirklicht hat, dies im Ergebnis allerdings verneint. Es kamen weder eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB noch eine Beteiligung an einem Vortäuschen einer Straftat (§ 145d Abs. 2 StGB) oder an einer Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB) in Betracht. Der Angeklagte habe sich auch nicht wegen versuchter mittelbarer Falschbeurkundung nach § 271 Abs. 1, 4, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht, indem er eine falsche Eintragung der Ordnungswidrigkeit im Fahreignungsregister herbeiführen wollte, denn das vom Kraftfahrt-Bundesamt geführte Fahreignungsregister sei kein öffentliches Register im Sinne der Norm. Der Angeklagte sei schließlich auch nicht wegen einer Ordnungswidrigkeit der Beteiligung an einer vorsätzlichen falschen Namensangabe nach § 111 Abs. 1, § 14 OWiG zu belangen gewesen. Insoweit sei jedenfalls das von Amts wegen auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigende Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG eingetreten gewesen.

Dass solche Manipulationen im Bußgeldverfahren oftmals nicht geahndet werden könnten und dadurch letztlich die Verkehrssicherheit leide, könne nur der Gesetzgeber ändern, indem er eine entsprechende Straf- oder Bußgeldvorschrift schaffe, so das Oberlandesgericht.

Vorinstanz
LG Tübingen, Urt. v. 10.07.2017 – 24 Ns 24 Js 23198/16

Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart v. 20.02.2018