Kategorien-Archiv Arbeitsrecht

VonHagen Döhl

Verdacht eines Vermögensdelikts und Kündigung

Eine wirksame Verdachtskündigung setzt voraus, dass die Kündigung gerade auf den Verdacht der strafbaren Handlung gestützt wird, eine Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung erfolgt ist, zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ein dringender Tatverdacht gegen den Arbeitnehmer besteht und im Rahmen der Interessenabwägung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortsetzung zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist überwiegt.
(LAG Rheinland-Pfalz – 15.12.2004 9 Sa 633/04)

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Herausgabe der Arbeitspapiere

Grundsätzlich sind Arbeitspapiere, zu ihnen zählt auch das Arbeitszeugnis, vom Arbeitnehmer abzuholen. Lediglich aus Gründen der nachwirkenden Fürsorge kann sich die Holschuld in eine Schickschuld verwandeln, zum Beispiel dann, wenn der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz inzwischen an einen weit entfernten Ort verlegt hat; in einem solchen Fall hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Arbeitszeugnis zuzusenden.
(LAG Rheinland-Pfalz – 09.06.2004 9 Ta 99/04)

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Weihnachtsgeld bei Ausscheiden des Arbeitnehmers vor Weihnachten

Wird ohne Regelung im Arbeitsvertrag regelmäßig ein so bezeichnetes Weihnachtsgeld gezahlt, so besteht kein Anspruch auf anteilige Zahlung, wenn der Arbeitnehmer im laufenden Jahr vor Weihnachten ausscheidet.
(LAG Köln – 21.01.2005 4 Sa 1436/04)

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Betriebliche Übung, Gehaltserhöhung

Die bloße langjährige Anpassung der Gehälter entsprechend der jeweiligen tarifvertraglichen Erhöhung nebst Mitteilung hierüber an den Arbeitnehmer reicht nicht aus, um eine Bindung auch für künftige Fälle tariflicher Gehaltserhöhungen zu begründen.
(BAG – 09.02.2005 5 AZR 284/04)

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Direktionsrecht: Verteilung der Arbeitszeit

Der Arbeitgeber kann die Lage der Arbeitszeit gem. § 106 Satz 1 Gewerbeordnung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit hierüber keine vertraglichen oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen getroffen sind. Die Grenzen billigen Ermessens sind gewahrt, wenn der Arbeitgeber bei der Bestimmung der Zeit der Arbeitsleistung nicht nur eigene, sondern auch berechtigte Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigt hat. Auf schutzwürdige familiäre Belange des Arbeitnehmers hat er Rücksicht zu nehmen, soweit einer vom Arbeitnehmer gewünschten Verteilung der Arbeitszeit nicht betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen. Erfordert die Verteilung der Arbeitszeit eine personelle Auswahlentscheidung des Arbeitgebers zwischen mehreren Arbeitnehmern, finden die Grundsätze zur sozialen Auswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung keine Anwendung.
(BAG, Urteil v. 23.0.2004 – 6 AZR 567/03)

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Neue Sichtweise zur Anzeige von Massenentlassungen gegenüber der Agentur für Arbeit nach Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes

Nach § 17 I 1 KschG ist ein Arbeitgeber, der mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt, verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er eine im Kündigungsschutzgesetz festgelegte Mindestzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Nach bisheriger Rechtssprechung des BAG, der Instanzgerichte sowie nach bisheriger Verwaltungspraxis der Bundesagentur für Arbeit wurde unter dem Begriff der „Entlassung“ die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden. Maßgeblich für die Anzeigepflicht war deshalb nicht der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs sondern der Zeitpunkt der tatsächlichen Vollziehung der Entlassung. Der EuGH hat dem gegenüber am 27.1.2005 entschieden, dass „Entlassung“ im Sinne der Richtlinie 98/59/EG und damit auch das § 17 Kündigungsschutzgesetz die Kündigungserklärung des Arbeitgebers ist. Demzufolge müssen – so der EuGH – sowohl das Beteiligungsverfahren des Betriebsrates nach § 17 II Kündigungsschutzgesetz als auch die Anzeige an die Arbeitsverwaltung vor Ausspruch der Kündigung abgeschlossen sein.

Hinweis: Zwar bindet grundsätzlich die Entscheidung des EuGH nur die Parteien des Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht Berlin, das die Sache zur Vorlage an den EuGH gebracht hat, Arbeitgeber sollten allerdings nicht davon ausgehen, dass sich für laufende Kündigungsverfahren noch Vertrauensschutz in die bisherige einheitliche Rechtssprechung und Handhabung der Anzeigepraxis nach alter „Lesart“ haben. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass Arbeitgeber Kündigungen nochmals aussprechen und die entsprechende Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit schon mit der neuen Kündigung vornehmen müssen, auch wenn sich dadurch die Kündigungstermine verschieben sollten.

(EuGH Urteil vom 27.1.2005 -C-188/03)

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Schwerbehinderung – Redaktionsversehen in § 90 II a SGB IX

Das Arbeitsgericht Düsseldorf ist in einer neuen Entscheidung der Ansicht, dass dem Gesetzgeber bei der Formulierung des § 90 II a SGB IX ein Redaktionsversehen unterlaufen und demzufolge das Wort „oder“ durch das Wort „und“ zu ersetzen ist.
Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift entfällt der besondere Kündigungsschutz, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als Schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist ODER wenn das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 I 1 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung des Antragsstellers nicht treffen konnte.
Die Verknüpfung der beiden Alternativen durch ein „ODER“ ist jedoch sinnwidrig, da in diesem Fall der besondere Kündigungsschutz bereits immer dann entfallen würde, wenn ein Antrag vor Ausspruch einer Kündigung noch nicht beschieden ist. Dies widerspricht erkennbar der Gesetzgebungsgeschichte und Gesetzesbegründung, wonach die Regelung des § 90 II a SGB IX lediglich besondere Fälle einer rechtsmissbräuchlichen Antragstellung in Erwartung einer möglichen Kündigung verhindern soll. Diesem Zweck wird die Norm nur gerecht, wenn das „ODER“ als „UND“ gelesen wird, da nur in diesem Fall gewährleistet ist, dass der Kündigungsschutz aufgrund eines Verschuldens des Arbeitnehmers – nämlich der fehlenden Mitwirkung im Feststellungsverfahren – entfällt.

Diese Begründung ist überzeugend.
(Arbeitsgericht Düsseldorf Urteil vom 29.10.2004 – 13Ca5326/04)

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Aufklärungspflicht vor Abschluss des Arbeitsvertrages

Auch im Arbeitsverhältnis obliegen dem Arbeitgeber vorvertragliche Aufklärungspflichten. Hierzu gehört insbesondere die Pflicht, den Arbeitnehmer über solche Umstände aufzuklären, die zu einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen können. Der anwerbende Arbeitgeber muss dem Bewerber Mitteilung über solche Umstände machen, die für seine Entscheidung maßgeblich sein können. Wenn der Arbeitgeber Anlass zu Zweifeln hat, ob er in nächster Zeit in der Lage sein wird, Löhne und Gehälter auszuzahlen, muss er vor Abschluss neuer Arbeitsverträge darauf hinweisen, soweit nicht seine Zahlungsschwierigkeiten als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können. Eine Aufklärungspflicht besteht insbesondere auch dann, wenn aus dem Bereich des Unternehmens heraus die Gefahr droht, die Arbeitsverhältnisse würden wegen absehbarer wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht durchgeführt werden können. Auch das Verschweigen einer nicht unerheblichen wirtschaftlichen Bedrängnis oder einer charakterlichen Unzuverlässigkeit eines leitenden Angestellten kann zu Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung der Aufklärungspflicht führen.

Ein Verschulden bei Vertragsschluss kann auch noch nach Abschluss des Arbeitsvertrages zu Schadensersatz verpflichten, etwa dann, wenn das Arbeitsverhältnis aus Gründen vorzeitig endet oder seinen Sinn verliert, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Abschluss des Vertrages schuldhaft verschwiegen hat.
(LAG Hamm – 14.01.2005 10 Sa 1278/04)

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Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertragsrecht (Vertragsstrafenabrede)

Die Parteien hatten in einem im Januar 2002 abgeschlossenen Arbeitsvertrag eine Vertragsstrafenabrede getroffen. In dieser verpflichtete sich die beklagte Arbeitnehmerin bei Nichtantritt des Arbeitsverhältnisses, beim Lösen des Arbeitsverhältnisses unter Vertragsbruch oder dann, wenn der Arbeitgeber durch schuldhaft vertragswidriges Verhalten der Arbeitnehmerin zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst wird, zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttogehaltes. In dem Arbeitsvertrag war ferner eine 6-monatige Probezeit mit einer beiderseitigen Kündigungsfrist von 2 Wochen vereinbart.
Wenige Tage nach dem Abschluss des Arbeitsvertrages und vor dem vorgesehenen Beginn des Arbeitsverhältnisses teilte die Beklagte dem Arbeitgeber mit, sie werde die Arbeit nicht antreten und kündige hiermit. Der Arbeitgeber klagte die Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatsgehaltes ein. Die Klage blieb allerdings in allen Instanzen erfolglos.
Nach den Feststellungen des BAG bestand der Arbeitsvertrag der Beklagten aus für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbestimmungen, welcher der Kläger der Beklagten bei Abschluss des Vertrages stellte. Es handelt sich hierbei nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB um Allgemeine Geschäftsbedingungen, auf die (seit dem 1.1.2002) insoweit die Vorschriften der §§ 305 bis 310 BGB anwendbar sind.
Nach § 309 Nr. 6 BGB sind zwar Vertragsstrafenvereinbarungen als Klauseln ohne Wertungsmöglichkeit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam. Bei der Anwendung der §§ 305 ff. im Arbeitsrecht sind jedoch nach § 10 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz BGB die dort geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Nach sorgfältiger Auseinandersetzung mit den hierzu in der Literatur vertretenen Ansichten gelangte das Bundesarbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass Vertragsstrafen nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 in Arbeitsverträgen grundsätzlich vereinbart werden können. Als Besonderheit des Arbeitsrechts stellt es auf die Regelungen des § 888 Abs. 2 ZPO ab, die es ausschließt, die Verpflichtung zur Arbeitsleistung zu vollstrecken. Hierdurch fehle dem Arbeitgeber im Gegensatz zu anderen Gläubigern die Möglichkeit, den vertraglichen Primäranspruch – die Leistung auf Arbeit – durchzusetzen. Es bestehe demnach für ihn ein Bedürfnis an Sanktionsinstrumenten, um zur Erfüllung der vertraglichen Hauptpflicht anzuhalten. Hierzu stelle die Vertragsstrafe in vielen Fällen die einzige wirksame Möglichkeit dar, um dies zu erreichen. Obgleich durch den Nichtantritt der Arbeit bzw. die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist hohe Schäden entstehen könnten, scheitere die Durchsetzung von Ersatzansprüchen häufig daran, dass die Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden oder dessen Höhe nicht nachgewiesen werden könne.
Im Streitfall stelle jedoch – so das Bundesarbeitsgericht – die allgemein zulässige Vertragsstrafenklausel sich als unangemessene Benachteiligung dar und ist demnach gem. § 307 BGB unwirksam. Die Beklagte wurde nach Auffassung des BAG wegen der Höhe der Vertragsstrafe unangemessen benachteiligt. Um hierüber entscheiden zu können ist – so das Gericht – abzustellen auf eine typisierende Betrachtungsweise, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Die Festsetzung einer Vertragsstrafe eines vollen Monatsgehaltes (das regelmäßig die Obergrenze für eine Vertragsstrafe bildet [BAG, Urteil v. 27.4.2000 – 8 AZR 301/99]) beeinträchtigt den Arbeitnehmer jedenfalls typischerweise dann unangemessen, wenn er sich – wie vorliegend – rechtmäßig mit einer Kündigungsfrist von 2 Wochen vom Vertrag hätte lösen können.
(BAG, Urteil v. 4.3.2004 8 AZR 196/03)

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Verlängerung eines Berufsausbildungsverhältnisses bei nicht bestehender Abschlussprüfung

Der Anspruch auf Verlängerung des Berufsausbildungsverhältnisses nach $ 14 Abs. 3 BBiG entsteht mit Kenntnis des Auszubildenden vom Nichtbestehen der Abschlussprüfung. Vor Ablauf der im Berufsausbildungsvertrag vereinbarten Ausbildungszeit ist die Geltendmachung des Verlängerungsanspruches nicht fristgebunden. Macht der Auszubildende einen während des Berufsausbildungsverhältnisses entstandenen Anspruch auf Verlängerung erst nach Ablauf der vereinbarten Ausbildungszeit geltend, verlängert sich das Berufsausbildungsverhältnis nur dann bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, wenn das Verlangen unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) erklärt wird. Im entschiedenen Fall war die Geltendmachung nach 26 Tagen jedenfalls verspätet.
(BAG, Urteil v. 23.9.2004 – 6 AZR 519/03)