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VonHagen Döhl

Anrechnung von Geldgeschenken bei „Hartz-IV“

Das Sächsische LSG hat entschieden, dass Geldgeschenke an Bezieher von Arbeitslosengeld II („Hartz-IV“) nur bis zur Höhe von 50 € jährlich anrechnungsfrei bleiben.
Darüber hinausgehende Geldgeschenke werden hingegen sogleich in voller Höhe als Einkommen angerechnet.
Der Landkreis Leipzig hatte gewährte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts teilweise zurückgefordert, da Geldgeschenke in Teilbeträgen von 100 € und 135 € (insgesamt: 570 €), welche die Großmutter den Kindern zum Geburtstag und zu Weihnachten überwiesen hatte, als Einkommen zu berücksichtigen seien.
Auf die Klage hat das SG Leipzig die Rückforderungsbescheide insoweit aufgehoben, als Geldgeschenke i.H.v. 50 € als Einkommen angerechnet worden waren. Der darüber hinausgehende Betrag dürfe jedoch angerechnet werden. Nach Ansicht des Sozialgerichts handele es sich bei den Geldgeschenken der Großmutter an die Kinder um zweckbestimmte Einnahmen. Der Erklärung der Großmutter, dass sich die Kinder einen Wunsch erfüllen sollten, sei zu entnehmen, dass es gerade nicht ihre Absicht gewesen sei, den Grundsicherungsträger zu entlasten. Grundsätzlich sei somit eine Zweckbestimmung möglich, die zwar Gegenstände betreffe, die von der Regelleistung umfasst seien, das Maß der Grundsicherung jedoch überstiegen. Es müsse daher, so das Sozialgericht. möglich sein, minderjährigen Kindern von Beziehern von Grundsicherungsleistungen Geldgeschenke zuzuwenden, damit sie sich einen besonderen Wunsch erfüllen könnten. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass diese Geschenke auch das Haushaltsbudget der Eltern entlasteten. Nach Ansicht des Sozialgerichts beeinflussten Geldgeschenke von über 50 € die Lage des Empfängers so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) nicht mehr gerechtfertigt seien.

Das Sächsische LSG hat das entgegenstehende Urteil des SG Leipzig aufgehoben und die gegen die Rückforderungsbescheide gerichtete Klage abgewiesen.

Die Großmutter habe keine ausreichend konkrete Zweckbestimmung vorgenommen. Denn dem Ansinnen, dass sich die Kinder einmal etwas Anderes leisten können sollten, sei nicht zu entnehmen, dass damit andere Zwecke erfüllt werden sollten als die, auf die die Regelleistung abzielt. Nach § 20 Abs. 1 SGB II umfasse die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Hilfebedürftig sei nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die Mutter hatte sich gegenüber dem beklagten Landkreis zunächst dahin geäußert, dass sie von dem Geld Kleidung für die Kinder gekauft hat. Als Beispiel für eine hinreichende andere Zweckbestimmung hat der Senat die Eigenheimzulage erwähnt.
Unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II-Verordnung in der bis Ende 2007 gültigen Fassung dürften Leistungsempfänger insgesamt nur 50 € pro Jahr (nicht je Anlass, wie das SG Leipzig angenommen hat) anrechnungsfrei erhalten. Darüber hinausgehende Beträge sind nach Ansicht des Landessozialgerichts hingegen voll (also ohne Abzug eines Freibetrages von 50 €) als Einkommen zu berücksichtigen.

Wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung hat das Landessozialgericht die Revision zum BSG zugelassen.

VonHagen Döhl

Regierung gegen Vorauszahlungspflicht für Berufungsverfahren

Die Bundesregierung lehnt eine Verpflichtung zur Gebührenvorauszahlung für Berufungsverfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ab.

In der Stellungnahme der Regierung zu einem Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs. 17/1211 – PDF, 166 KB) heißt es zur Begründung, der Vorschlag würde „zu spürbaren Verzögerungen und zu einem deutlich zunehmenden Verwaltungsaufwand führen“. Die Regierung schreibt: „Zunächst müsste die Zahlung überwacht werden, die unaufgefordert erfolgen soll. Dann müsste das Gericht eine Zahlungsfrist setzen“, schließlich müsste „der Zahlungseingang überwacht und die Fristeinhaltung geprüft werden“.

Der Bundesrat schlägt in dem Gesetzentwurf in Anlehnung an das erstinstanzliche Verfahren vor, auch für das Berufungsverfahren eine Vorauszahlungspflicht für die Verfahrensgebühr einzuführen. Allerdings solle nicht die Zustellung der Berufung von der Zahlung der Verfahrensgebühren abhängig gemacht werden. Stattdessen solle die Erfüllung der Vorauszahlungsverpflichtung ein neues Zulässigkeitskriterium bilden. Im Gegensatz zur Bundesregierung sieht die Länderkammer die Berufungskläger durch die gewünschte Neuregelung „nicht unzumutbar belastet“.

Als Grund für den Gesetzesvorstoß führt der Bundesrat an, dass wegen der vergleichsweise hohen Streitwerte in zivilgerichtlichen Berufungsverfahren die Haushalte durch Zahlungsverzögerungen und Gebührenausfälle ”übermäßig belastet“ würden. Die Länder beklagen Ausfälle in einer Größenordnung von bis zu 5%. Weit über dem Durchschnitt liegt den Angaben zufolge Mecklenburg-Vorpommern mit 21%.

VonHagen Döhl

Keine höheren „Hartz IV-Leistungen“ für Vergangenheit

Das BVerfG hat betont, dass höhere „Hartz IV-Leistungen“ für die Vergangenheit aufgrund des BVerfG-Urteils vom 09.02.2010 ausgeschlossen sind.
Die Beschwerdeführer sehen die Höhe der Regelleistungen nach dem sog. „Hartz IV-Gesetz“ für den Zeitraum von Januar bis Juni 2005 als zu niedrig an. Nach Erschöpfung des Rechtswegs haben sie Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Durch das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) seien die für diesen Fall relevanten verfassungsrechtlichen Fragen für die Bemessung der Regelleistungen geklärt. Das BVerfG habe die mittelbar angegriffenen Vorschriften des § 20 Abs. 2 und 3 SGB II a.F. für verfassungswidrig erklärt. Da die verfassungswidrigen Regelungen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber zum 31.12.2010 weiterhin anwendbar sind, stehe fest, dass die Beschwerdeführer keine höheren Regelleistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum beanspruchen können.
Höhere Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum ergeben sich auch nicht aufgrund der in dem genannten Urteil geschaffenen Härtefallregelung, denn diese gilt nicht rückwirkend für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils liegen. Von einer rückwirkenden Übergangsregelung habe das BVerfG ebenso abgesehen wie von einer Verpflichtung des Gesetzgebers, auch für zurückliegende Leistungszeiträume eine Öffnungsklausel zu schaffen.
(BVerfG 24.03.2010 1 BvR 395/09)

VonHagen Döhl

Bundesrat will Gerichtsvollzieherwesen privatisieren

Der Bundesrat möchte das Gerichtsvollzieherwesen privatisieren, so dass Zwangsvollstrecker dann auf eigene Rechnung, aber unter staatlicher Aufsicht arbeiten.

Dies schreibt die Länderkammer in einem dazu vorgelegten Gesetzentwurf (BT-Drs. 17/1210 – PDF, 78 KB). Dazu sei eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich. Ein neuer Art. 98a GG soll in die Verfassung eingefügt werden. Dieser sagt aus, dass auch die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen auf Personen, die nicht Angehörige des öffentlichen Dienstes sind, übertragen werden kann.

Zur Begründung heißt es, der Einsatz von Privaten verbessere die Effizienz der Zwangsvollstreckung, indem er neue Leistungsanreize schaffe. Diese seien im gegenwärtigen System mit der „aufwändigen, umstrittenen und sehr konfliktträchtigen“ Bürokostenentschädigung nicht möglich. Zudem verschärfe die anhaltend schlechte wirtschaftliche Situation den Druck der Gläubiger, offene Forderungen zu realisieren. Gleichzeitig würden die Möglichkeiten, bei den Schuldnern in pfändbare Vermögensobjekte zu vollstrecken, immer seltener. Die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers werde dadurch erheblich erschwert. Der Länderkammer findet, die steigenden Anforderungen an diese Tätigkeit gebiete deshalb, neue Leistungsanreize zu schaffen. Private würden unter staatlicher Aufsicht und Verantwortung die Aufgabe effizienter erledigen. Sie würden im Wettbewerb untereinander auf eigene Rechnung tätig sein. An Stelle des Systems der Bürokostenentschädigung stünde ein Personal- und Sachmitteleinsatz aufgrund der unternehmerischen Entscheidung des Gerichtsvollziehers, so der Bundesrat.

Die Bundesregierung begrüßt die Initiative des Bundesrates für eine Übertragung der Aufgaben der Gerichtsvollzieher auf Private. Dazu hatte der Länderkammer schon einmal im Juni 2007 einen Versuch gestartet (BT-Drs. 16/5724 – PDF, 317 KB).

VonHagen Döhl

Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Sonderkundenverträgen unwirksam

Der BGH hat entschieden, dass Preisanpassungsklauseln in Erdgas-Sonderkundenverträgen, die den Arbeitspreis für Erdgas allein an die Entwicklung des Preises für extra leichtes Heizöl („HEL“) binden, die Kunden unangemessen benachteiligen und deshalb nicht Grundlage einer Preisanpassung sein können.
Im ersten Fall (VIII ZR 178/08) verlangte ein Verbraucherschutzverband von einem im Rheinland ansässigen Energieversorgungsunternehmen unter anderem, die Verwendung der folgenden Preisanpassungsbestimmungen für den Arbeitspreis (AP) in zwei näher bezeichneten Sondervertragsmustern zu unterlassen:
„AP = 2,43 + (0,092 * (HEL – 19,92)) + 0,2024 in ct/kWh“
und
„für die ersten 4.972 kWh/Jahr AP = 3,21 + 0,092 * (HEL – 25,39) + 0,2024 in ct/kWh
von 4.973 bis 99.447 kWh/Jahr AP = 2,88 + 0,092 * (HEL – 25,39) + 0,2024 In ct/kWh
alle weiteren kWh/Jahr AP = 2,83 + 0,092 * (HEL – 25,39) + 0,2024 in ct/kWh“.
Mit HEL ist definitionsgemäß der Preis für extra leichtes Heizöl (ohne Umsatzsteuer) in €/hl bezeichnet, wie er den monatlichen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden bei einer Tankkraftwagen-Lieferung von 40-50 hl frei Verbraucher in Düsseldorf zu entnehmen ist. In den Verträgen heißt es weiter:
„Der Erdgaspreis wird jeweils mit Wirkung zum 01.04. und 01.10. eines jeden Jahres angepasst. Dabei werden jeweils zugrunde gelegt:
– für die Bildung des Arbeitspreises zum 01.04. das arithmetische Mittel der Preise für extra leichtes Heizöl der Monate Juli bis Dezember des vorhergehenden Kalenderjahres
– und für die Bildung des Arbeitspreises zum 01.10. das arithmetische Mittel der Preise für extra leichtes Heizöl der Monate Januar bis Juni des laufenden Kalenderjahres.“
Das LG Köln hat der Unterlassungsklage insoweit stattgegeben, das OLG Köln hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.
Die dagegen gerichtete Revision des klagenden Verbraucherschutzverbandes hatte vor dem BGH Erfolg.
Im zweiten Fall (VIII ZR 304/08) sind die Kläger Kunden eines kommunalen Versorgungsunternehmens im Rhein-Main-Gebiet, von dem sie im Rahmen von Sonderverträgen leitungsgebunden Gas beziehen. Hierbei gelten die von dem Versorgungsunternehmen vorformulierten „Bedingungen des Sondervertrages für Gaslieferungen“, in deren Ziffer III es heißt:
„c) Als Heizölpreis im Sinne von Ziffer 2 des Vertrages gilt das aus 8 Monatswerten gebildete arithmetische Mittel der vom Statistischen Bundesamt erhobenen und veröffentlichten monatlichen Preisnotierung für extra leichtes Heizöl in € je 100 Liter frei Verbraucher in Frankfurt bei Tankkraftwagen-Lieferungen von 40 bis 50 hl pro Auftrag einschließlich Verbrauchssteuer. Der Arbeitspreis (AP) errechnet sich deshalb nach folgender Formel:
AP (Cent je kWh) = 0,092 HEL
d) Änderungen der Gaspreise aufgrund der Bindung an das Heizöl (HEL) treten jeweils zum 01.04. und 01.10. eines jeden Jahres ein. …“
Die Kläger haben unter anderem beantragt, die Unwirksamkeit dieser Klauseln festzustellen. Das LG Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen. Das OLG Frankfurt am Main hat festgestellt, dass die Klausel den 36 Berufungsklägern gegenüber unwirksam sei.
Die dagegen gerichtete Revision des beklagten Versorgungsunternehmens hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Der BGH hat entschieden, dass die Preisberechnungsklauseln die Kunden der Versorgungsunternehmen unangemessen benachteiligen und deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sind. Ein schutzwürdiges Interesse der Versorgungsunternehmen an der Verwendung der Klauseln liege nicht vor. Dies gelte auch dann, wenn es sich hierbei um – nach dem Preisklauselgesetz wirksame – Spannungsklauseln handeln sollte, die die Erhaltung einer bestimmten Wertrelation zwischen Leistung und Gegenleistung bezwecken. Für solche Klauseln möge in langfristigen Vertragsverhältnissen ein berechtigtes Interesse bestehen, wenn sie bestimmt und geeignet sind zu gewährleisten, dass der geschuldete Preis mit dem jeweiligen Marktpreis für die zu erbringende Leistung übereinstimmt. Für die Lieferung von leitungsgebundenem Gas an Endverbraucher existiere jedoch mangels eines wirksamen Wettbewerbs nach wie vor kein Marktpreis. Dass sich der Gaspreis vielfach parallel zum Preis für leichtes Heizöl entwickelt, beruhe nicht auf Markteinflüssen, sondern darauf, dass die Ölpreisbindung der Gaspreise einer gefestigten Praxis entspricht.
Auch das somit allein verbleibende anerkennenswerte Interesse der Gaslieferanten, Kostensteigerungen an ihre Kunden weiterzugeben, führe nicht zur Wirksamkeit der Klauseln. Zwar hat der BGH grundsätzlich ein berechtigtes Interesse von Gasversorgungsunternehmen anerkannt, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an ihre Normsonderkunden weiterzugeben (vgl. Urt. v. 15.07.2009 – VIII ZR 225/07 und VIII ZR 56/08). Eine unangemessene Benachteiligung der Kunden liege aber dann vor, wenn Preisanpassungsbestimmungen dem Verwender die Möglichkeit einräumen, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Bei den beanstandeten Preisanpassungsklauseln ergebe sich die Möglichkeit einer unzulässigen Gewinnsteigerung (schon) daraus, dass sie als einzige Variable für die Anpassung des Arbeitspreises den Preis für extra leichtes Heizöl (HEL) vorsehen und damit eine Erhöhung der Gaspreise – auch unter Berücksichtigung der in den Vertragsmustern weiter enthaltenen Bestimmungen über die Änderung des Grundpreises – selbst dann erlauben, wenn steigende Bezugspreise durch Kostensenkungen in anderen Bereichen, etwa bei den Netz- und Vertriebskosten, aufgefangen werden.
(BGH 24.3.2010 VIII ZR 178/08, VIII ZR 304/08)

VonHagen Döhl

kongruenter Erwerbsschaden eines selbständigen Unternehmers

Macht ein Unfallversicherungsträger wegen der Zahlung eines Verletztengeldes einen nach § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenen Schadensersatzanspruch geltend, ist der kongruente Erwerbsschaden eines selbständigen Unternehmers nach den Grundsätzen für die Ermittlung des entgangenen Gewinns zu schätzen.
BGH Urteil 23.02.2010, VI ZR 331/08

VonHagen Döhl

Verletztenrente für ehemaligen Angestellten im Chemiekombinat Bitterfeld

Das LSG Berlin-Brandenburg hat einem Chemiearbeiter, der im Chemiekombinat Bitterfeld tätig war, eine Verletztenrente zugesprochen, nachdem es unter anderem Stasi-Unterlagen zur Umweltbelastung durch die Chlorproduktion ausgewertet hat.

Die Kläger bzw. nach dessen Tod seine Erben stritten um die Zahlung einer Verletztenrente aus der Gesetzlichen Unfallversicherung. Der im Jahre 1932 geborene M. war seit 1950 im VEB Chemiekombinat Bitterfeld als Arbeiter, Brigadier, Kaderinstrukteur und später als Meister in den Abteilungen Chlorbarium, Chlor I und Chlor III beschäftigt gewesen. Während seiner Berufstätigkeit war er u.a. dem Kontakt mit Chlor und Quecksilber ausgesetzt und litt seit 1964 unter chronischer Bronchitis. Seit 1981 bezog M. eine Invalidenrente. Er litt unter gravierenden Beeinträchtigungen von Lunge und Herz, was er u.a. auf Störungen im Betriebsablauf und Chloraustritte zurückführte, bei denen die sonst üblichen Raumluftwerte um ein Vielfaches überschritten worden seien.
Die beklagte Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie in Halle lehnte es ab, das Leiden des M. als Berufskrankheit anzuerkennen und führte es wesentlich auf dessen langjährigen erheblichen Zigarettenkonsum zurück; zudem hätten die vorliegenden Messprotokolle über die Chlorgasexposition keine Überschreitung von Grenzwerten gezeigt.
Das SG Frankfurt (Oder) schloss sich dieser Sichtweise nach umfangreicher Beweiserhebung nicht an, sondern bewertete die Leiden des M. als Berufskrankheit.

Das LSG Brandenburg hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.

Gewürdigt wurde dabei u.a. Material, das die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vorgelegt hatte. Diesen teilweise als „streng geheim“ klassifizierten Unterlagen lasse sich anschaulich entnehmen, welche erhebliche Gefährdung durch Chlor im Chemiekombinat Bitterfeld bestanden hat. Belegt sei ein desaströser Zustand der Produktionsanlagen. Alles spreche dafür, dass auch M. Grenzwertüberschreitungen und Havariesituationen ausgesetzt gewesen ist; seine Leiden seien damit maßgeblich als Langzeitwirkung einer erhöhten Chlorexposition anzusehen.

VonHagen Döhl

Videokonferenzen in Gerichtsverfahren

Der Bundesrat fordert in einem Gesetzentwurf, dass Gerichtsverfahren mit Hilfe von Videokonferenztechnik beschleunigt und wirtschaftlicher durchgeführt werden.

Zeitgleiche Bild- und Tonübertragungen sollen zukünftig auch Abwesenden die Teilnahme an gerichtlichen Verhandlungen und Ermittlungsverfahren ermöglichen. Bisher ist dies hauptsächlich für Opferzeugen vorgesehen, denen die gleichzeitige Anwesenheit mit dem Täter im Gerichtssaal nicht zumutbar ist. Zukünftig sollen jedoch auch andere Verfahrensbeteiligte, zum Beispiel Parteien, Anwälte, Dolmetscher und Sachverständige mittels Konferenzschaltung am Prozess teilnehmen können. Dies würde Reisekosten und Zeitaufwand vermindern und die Terminierung von mündlichen Verhandlungen und Erörterungsterminen erleichtern. In bestimmten Fällen könnte zukünftig auch auf die – teils aufwändige – persönliche Vorführung von Gefangenen im Rahmen der Strafvollstreckungsüberprüfung verzichtet werden.

Der Gesetzentwurf wird zunächst der Bundesregierung zugeleitet, die ihn zusammen mit ihrer Stellungnahme dem Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorlegt.

Der Beschluss ist mit einem Gesetzentwurf deckungsgleich, den der Bundesrat bereits Ende Dezember 2007 dem Bundestag zugeleitet hatte. Dort ist er wegen des Ablaufs der 16. Wahlperiode jedoch nicht mehr abschließend behandelt worden.

VonHagen Döhl

Deckelung der Abmahnkosten zulässig

Die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorschrift des § 97a Absatz 2 UrhG, wonach bei einer ersten Abmahnung der Abgemahnte nur Anwaltskosten in Höhe von bis zu 100 Euro übernehmen muss, hatte vor dem BVerfG keinen Erfolg.

Der am 01.09.2008 in Kraft getretene § 97a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz (UrhG) beschränkt den Kostenerstattungsanspruch des Urhebers für eine anwaltliche Abmahnung wegen der Verletzung von im Urheberrechtsgesetz geregelten Rechten in einfach gelagerten Fällen auf 100 €. Vor dieser Gesetzesänderung konnten bei einer begründeten anwaltlichen Abmahnung die vollen Gebühren, die sich am Streitwert orientierten, vom Verletzer ersetzt verlangt werden.

Der Beschwerdeführer veräußert bei eBay und in einem eBay-Shop gebrauchte Hifi-Geräte. Die dabei verwendeten Produktfotos stellt er mit erheblichem Aufwand selbst her. Weil diese Fotos von anderen eBay-Mitgliedern kopiert und im Rahmen eigener Auktionen verwendet wurden, beauftragte er einen Anwalt mit Abmahnungen. Die Abmahnungen waren teilweise außergerichtlich erfolgreich, teilweise musste der Beschwerdeführer seinen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch (§ 97 UrhG) gerichtlich durchsetzen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine von § 97a Abs. 2 UrhG ausgehende Verletzung seines Grundrechts am geistigen Eigentum und eine unzulässige Rückwirkung, weil er nicht mehr die vollen Anwaltskosten für die Abmahnung vom Gegner erstattet erhält. Die Ansprüche von Urhebern bei Verletzung ihrer Rechte würden dadurch praktisch wertlos.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Nach Auffassung des Gerichts ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht geltend machen konnte, unmittelbar durch die angegriffene Vorschrift beeinträchtigt zu sein. Er nenne nicht einen konkreten Fall, in dem er unter Geltung des neuen § 97a Abs. 2 UrhG nicht die vollen, von ihm aufgewendeten Anwaltsgebühren erstattet erhalten hat, und er beziffere auch nicht den ihm entstandenen oder voraussichtlich künftig entstehenden Schaden.

Vor einer Anrufung des BVerfG müsse ein Beschwerdeführer außerdem grundsätzlich die Fachgerichte mit seinem Anliegen befassen. Die fachgerichtliche Entscheidung verschiedener, durch die Neuregelung aufgeworfener Zweifelsfragen sei geeignet, die verfassungsrechtliche Bewertung der Norm zu beeinflussen. Dabei mache der Beschwerdeführer nicht geltend, dass schon das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel illegitim wäre, nämlich zu verhindern, dass die Verletzer von Urheberrechten in Bagatellfällen überzogene Anwaltshonorare bezahlen müssen. Dem Gesetzgeber müsse Zeit gegeben werden, das mit der Neuregelung verfolgte Konzept auf seine Tauglichkeit und Angemessenheit hin zu beobachten. Dabei befänden sich auch die Honorarpraxis der Rechtsanwälte und mögliche, an der Neuregelung ausgerichtete Honorarmodelle noch in der Entwicklung.

Auch im Hinblick auf die gerügte „Rückwirkung“ der Norm sei derzeit eine Sachentscheidung des BVerfG nicht geboten. Denn in „Altfällen“ (Abmahnvorgänge, die vor Inkrafttreten des neuen § 97a UrhG in Gang gesetzt, jedoch mangels Zahlung der Anwaltskosten durch den Verletzer nicht abgeschlossen wurden) dürfte eine Auslegung des § 97a Abs. 2 UrhG möglich sein, welche die Urheber nicht ihres einmal entstandenen und somit als grundrechtliches Eigentum geschützten Aufwendungserstattungsanspruchs weitgehend beraubt.

VonHagen Döhl

Haftung nach fehlerhafter Blondierung beim Friseur

Das LG Coburg hat sich mit der Höhe des Schadensersatzanspruches im Fall einer fehlerhaften Blondierung am Hinterkopf befasst, in deren Folge aufgrund der Verätzung eine 5 x 5 cm große kahle Stelle dauerhaft zurückgeblieben ist.
Die Klägerin ließ sich in einem Friseursalon die Haare blondieren. Dabei trug eine Mitarbeiterin des Friseursalons das Blondierungsmittel versehentlich auf die Kopfhaut der Klägerin auf. Dadurch wurde die Haut am Hinterkopf verätzt und verursachte auf dem Hinterkopf der Klägerin eine etwa 5 x 5 cm große kahle Stelle, an der keine Haare mehr wachsen. Die Haftpflichtversicherung der beklagten Mitarbeiterin und der Chefin des Friseursalons zahlte an die Klägerin 1.000 € Schmerzensgeld und bot insgesamt ein Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 € an. Die Klägerin meinte, ihr stünde ein Schmerzensgeld von 20.000 € zu, da sie dauerhaft entstellt sei. Sogar ihre Heiratschancen seien dadurch gemindert. Die Beklagten meinten, die Klägerin könne sich an der kahlen Stelle operativ Haare einpflanzen lassen.
Das LG Coburg sprach der Klägerin insgesamt 5.000 € Schmerzensgeld zu.
Das Gericht nahm zu Gunsten der Klägerin an, dass sie starke Schmerzen erlitten hatte und vielfach einen Hautarzt aufsuchen musste. Auch sei die Klägerin nicht verpflichtet, sich einer Haarimplantation zu unterziehen, da diese mit Risiken verbunden ist, die die Klägerin nicht eingehen muss. Daher sei die kahle Stelle ein Dauerschaden. Das Gericht stellte nach Betrachtung der Kopfhaut der Klägerin fest, dass die kahle Stelle nur dann zu erkennen ist, wenn man mit den Händen die Haare anhebt. Die Klägerin sei daher nicht entstellt. Eine Minderung der Heiratschancen erachtete das Gericht als äußerst fernliegend.
Das Gericht hielt im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld von 5.000 € für angemessen. Im Vergleich mit anderen Entscheidungen zu Haarverletzungen stellte das Gericht fest, dass nur in seltensten Fällen ein Schmerzensgeld von mehreren Tausend Euro zugesprochen wurde. In diesen Fällen hätten die Geschädigten wesentlich gravierendere Verletzungen und Folgeerscheinungen erlitten. Daher sprach das LG Coburg kein höheres Schmerzengeld zu als die von der Haftpflichtversicherung der Beklagten angebotenen und im Prozess anerkannten 5.000 €.
Das Urteil ist rechtskräftig.
(LG Coburg 29.07.2009 Aktenzeichen: 21 O 205/09)