Kategorien-Archiv Verkehrsrecht

VonHagen Döhl

Ende des EU-Führerscheintourismus durch die 3. Führerscheinrichtlinie

Das OVG Nordrhein-Westfalen hat über einen neuen Aspekt des Dauerthemas „EU Führerscheintourismus“ entschieden.
In dem Verfahren um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes griff ein Antragsteller aus Paderborn die Feststellung des Landrats des Kreises Paderborn (Antragsgegner) an, dass seine in Polen erteilte Fahrerlaubnis der Klasse B nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtige. Auf der Grundlage der neuen 3. Führerscheinrichtlinie (RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates) vom 20.12.2006 hat das OVG Nordrhein-Westfalen die Auffassung des Antragsgegners bestätigt.
Dem 1964 geborenen Antragsteller hatte das AG Paderborn im Jahr 2004 die Fahrerlaubnis entzogen, nachdem er mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,24 Promille ein Kraftfahrzeug geführt hatte. Im Jahr darauf wurde er erneut auffällig, diesmal wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Ohne jemals versucht zu haben, in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Fahrerlaubnis zu erwerben, was eine erfolgreiche medizinisch-psychologische Untersuchung vorausgesetzt hätte, erwarb der Antragsteller Ende Januar 2009 unter Vermittlung einer sich als „Marktführer für Polen“ bezeichnenden Agentur in Słubice/Polen eine EU Fahrerlaubnis. Nachdem dies dem Antragsgegner im Februar 2009 bekannt geworden war, richtete er über das Kraftfahrt Bundesamt eine Anfrage an die polnische Ausstellungsbehörde. Darin wies er darauf hin, dass der Antragsteller durchgängig in Paderborn gemeldet gewesen sei und dass es nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH Sache des Ausstellerstaates sei, bei einem erkennbaren Verstoß gegen das im europäischen Führerscheinrecht verankerte Wohnsitzerfordernis die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Die Anfrage blieb ohne Reaktion aus Polen. Daraufhin erließ der Antragsgegner mit Ordnungsverfügung vom 30.03.2009 die vom Antragsteller angegriffene Feststellung über dessen fehlende Berechtigung, im Bundesgebiet von seiner polnischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen. Den zusammen mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung lehnte das VG Minden ab.
Das OVG Nordrhein-Westfalen hat die dagegen vom Antragsteller erhobene Beschwerde zurückgewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die unter der Geltung der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG) vom EuGH aufgestellten einengenden Voraussetzungen für eine Nichtanerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse in der Bundesrepublik Deutschland in Fällen einer vormaligen Entziehung einer Fahrerlaubnis im Heimatstaat und des Fortbestehens der seinerzeit zutage getretenen Eignungsbedenken nach dem Inkrafttreten von Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie am 19.01.2009 nicht mehr einschlägig sind. Insbesondere komme es jetzt nicht mehr auf einen aus Verlautbarungen des Ausstellerstaates hervorgehenden Nachweis eines Verstoßes gegen das europarechtliche Wohnsitzerfordernis beim Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis an. Das folge zum einen aus den nunmehr zwingenden Verboten der 3. Führerscheinrichtlinie, nach vorheriger Entziehung einer Fahrerlaubnis in einem anderen EU Staat eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen bzw. eine gleichwohl erteilte Fahrerlaubnis anzuerkennen. Zum anderen hätten die an der 3. Führerscheinrichtlinie beteiligten europäischen Gremien während des Normsetzungsverfahrens deutlich gemacht, dass es ihnen um eine wirkungsvolle Unterbindung des die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdenden Führerscheintourismus geht.
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar. Die Entscheidung in einem möglichen Hauptsacheverfahren steht allerdings noch aus.
(OVG NRW 20.01.2010 Aktenzeichen: 16 B 814/09)

VonHagen Döhl

Führerscheinentzug für uneinsichtige Diabetiker möglich

Das VG Mainz hat entschieden, dass ein Autofahrer, der unter Diabetes leidet und aufgrund von Unterzuckerungen in Unfälle verwickelt wird, seinen Führerschein verlieren kann.
In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein an Diabetes erkrankter Autofahrer aufgrund einer Unterzuckerung einen Unfall verursacht. Dabei hatte er in einem Baustellenbereich die Betonbegrenzung gestreift, geriet ins Schleudern und blieb nach weiteren Kollisionen mit der Leitplanke schließlich quer zur Fahrbahn liegen. Aufgrund eines ärztlichen Gutachtens entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde den Führerschein.
Das VG Mainz hat die Klage des Autofahrers abgewiesen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Führerscheinentzug begründet: Das Gutachten verweise auf eine Diabetes mit Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen. Zudem seien bereits mehrere Unfälle des Klägers im Zusammenhang mit einer Unterzuckerung dokumentiert. Trotz allem jedoch habe der Kläger vor Fahrtantritt seinen Blutzuckerwert nicht regelmäßig kontrolliert. Er habe somit uneinsichtig gehandelt und sei deshalb derzeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht geeignet.
Durch eine Diabetikerschulung und den Nachweis einer mehrmonatigen stabilen Blutzuckereinstellung könne der Autofahrer allerdings darauf hoffen, schon bald wieder hinters Steuer zu dürfen.
(VG Mainz – 27.10.2009 3 L 1058/09.MZ )

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Schadenersatz bei Autowäsche

Das LG Coburg hatte zu entscheiden, ob der Benutzer einer Autowaschanlage vom Betreiber Schadensersatz wegen Beschädigungen seines Autos in der Trockenanlage verlangen kann.
Der Kläger befuhr nach der Waschhalle mit seinem Pkw die Trockenhalle. Dort öffnete sich der Kofferraum und die Trockenanlage beschädigte den Kofferraumdeckel. Der Kläger meinte, dass daran nur die Trockenanlage schuld sein könne. Die Möglichkeit, dass er selbst aus dem Wageninneren versehentlich den Kofferraumdeckel geöffnet habe, schloss er aus, weil dann ein Warnsignal aufleuchte und ein Summton zu hören sei. Der Betreiber der Waschanlage gab an, dass diese seit Jahren beanstandungsfrei betrieben werde und der Kundendienst die Waschanlage alle 14 Tage warte. Die einzige Erklärung für das Öffnen des Kofferraumdeckels sei aus Sicht des Betreibers ein versehentliches Öffnen durch den Kläger. Der Kläger verlangte vom Betreiber Schadenersatz in Höhe von über 7.600 €.
Das LG Coburg hat die Klage abgewiesen.
Nach den Ausführungen des Gerichts, das einen Sachverständigen befragt hatte, kann ein ordnungsgemäß geschlossener Kofferraum nicht durch eine Trockenanlage geöffnet werden. Insbesondere waren an der Außenseite des Kofferraumdeckels keinerlei Beschädigungen festzustellen. Auch reichten die mechanischen Kräfte einer Trockenanlage nicht aus, um den Kofferraum zu öffnen. Einzige Erklärung für das Öffnen des Kofferraumdeckels sei das Betätigen eines Schalters im Fahrzeuginnenraum. Dazu sei nur der Kläger selbst in der Lage gewesen. Es sei nicht auszuschließen, dass der Kläger mögliche Warnhinweise durch Summton und Leuchte im Rahmen des Wasch- und Trockenvorgangs nicht mitbekommen hat. Der Kofferraumdeckel könne auch schon während des Waschvorgangs geöffnet gewesen sein. Das Gericht schloss sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an und holte nicht, wie vom Kläger beantragt, ein neues Gutachten ein.
LG Coburg, 27.11.2009 11 O 440/08)

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Feststellung des entgangenen Gewinns nach Personenschaden

Nach einem Personenschaden ist es grundsätzlich zulässig, den entgangenen Gewinn gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO (im selbständigen Beweisverfahren) festzustellen. Der Antragsteller muss ausreichende Anknüpfungstatsachen für die begehrte Feststellung durch den Sachverständigen vortragen.
(BGH Beschluss 20.10.2009, VI ZB 53/08)

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Handyverbot gilt nicht für Festnetz-Mobilteil

Das OLG Köln hat entschieden (22.10.2009 82 Ss-OWi 93/09), dass die Benutzung eines Festnetz Mobilteils während der Fahrt nicht unter das sog Handyverbot fällt.
Ein Bonner Autofahrer war etwa 3 km von seinem Haus entfernt, als in seiner Tasche das Mobilteil seines Festnetz-Telefons piepte. Er nahm es heraus, schaute es an und hielt es an sein Ohr. Normalerweise ist ab 200 m Entfernung vom Haus keine Kommunikation mit der Basisstation mehr möglich. Das AG Bonn hielt auch das Mobilteil einer Festnetzanlage für ein Mobiltelefon i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO und hat ein Bußgeld i.H.v. 40 € verhängt.
Das OLG Köln hat die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben; der Betroffene wurde freigesprochen.
Nach Auffassung des OLG Köln können Schnurlostelefone bzw. deren „Mobilteile“ bzw. „Handgeräte“ nach dem allgemeinen Sprachverständnis nicht als Mobiltelefone im Sinne des sog. Handyverbots angesehen werden. Für den Einsatz während der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr seien sie aufgrund ihres geringen räumlichen Einsatzbereichs praktisch auch gar nicht geeignet. Der Verordnungsgeber habe bei Schaffung der Verbotsvorschrift nur die an die gemeinhin als „Handy“ bezeichneten Geräte für den Mobilfunkverkehr gedacht und deren Gebrauch während des Fahrens beschränken wollen.
Das Gericht sah auch keinen Anlass, den Anwendungsbereich des Handyverbots zu erweitern: Eine Ablenkung des Fahrers durch Gespräche mit dem Schnurlostelefon könne nicht als ernsthafte Gefahr angesehen werden, weil sie wegen der allseits bekannten Sinnlosigkeit des Vorgangs schon kurz nach Fahrtantritt in der Praxis nicht in nennenswertem Umfang vorkommt. Der Vorgang sei so ungewöhnlich, dass kein Regelungsbedarf besteht.
Der Beschluss ist rechtskräftig.

VonHagen Döhl

Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bei Verkehrsunfall

Das AG Kassel hat entschieden, dass der Unfallverursacher die Rechtsanwaltskosten auch dann ersetzen muss, wenn der Rechtsbeistand schon vor einem Gerichtsverfahren eingeschaltet wurde.
Bei einem Unfall waren ein Fahrzeug einer gewerblichen Autovermietung sowie ein bei einer Versicherungsgesellschaft versichertes Fahrzeug beteiligt. Die Unfallschuld war klar, so dass die Haftungsfrage zwischen beiden Parteien unstreitig war. Sehr wohl streitig war jedoch die Frage, wer die Rechtsanwaltskosten zu tragen habe, die der Autovermietung mangels eigener Rechtsabteilung durch die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts entstanden waren. Da sich die Versicherung weigerte, diese Anwaltskosten mit in die Schadensberechnung einzubeziehen, ging die Autovermietung vor Gericht und klagte auf Erstattung der Kosten.
Mit Recht, wie das AG Kassel entschieden hat.
Nach den Ausführungen des Gerichts stehen den rechtsunkundigen Geschädigten, wozu auch eine gewerbliche Autovermietung zu zählen ist, oft Versicherungsgesellschaften gegenüber, die über hoch spezialisierte Rechtsabteilungen verfügten, welche sich wiederum bisweilen auf juristische Spitzfindigkeiten kaprizierten. Entgegen der Auffassung der beklagten Versicherung gebe es auch keinen „einfach gelagerten Verkehrsunfall“ mehr. Grund hierfür sei, dass die Rechtsprechung zum Umfang des ersatzfähigen Schadens eine Dimension erreicht hat, die für Laien nicht mehr überschaubar ist. Daher entspreche es allein schon dem Prinzip der Waffengleichheit, wenn der Geschädigte anwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt. Und es sei auch rechtens, wenn er verlangt, die dadurch entstandenen Rechtsverfolgungskosten ersetzt zu bekommen.
(AG Kassel 30.6.2009 415 C 6208/08)

VonHagen Döhl

Nutzungswertersatz beim Rücktritt vom Autokaufvertrag

Der BGH hat entschieden, dass der Käufer nach Rücktritt von einem Kaufvertrag über ein Fahrzeug Wertersatz für die Nutzung zu leisten hat.
Die Klägerin erwarb vom Beklagten, einem Kraftfahrzeughändler, mit Vertrag vom 09.05.2005 einen gebrauchten Pkw BMW 316 i mit einer Laufleistung von 174.500 km zu einem Kaufpreis von 4.100 €. Die Klägerin hat wegen Mängeln des Fahrzeugs den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Die Parteien haben zuletzt nur noch darüber gestritten, ob sich die Klägerin, die mit dem Fahrzeug 36.000 km gefahren ist, bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages den Wert der Nutzungen des Fahrzeugs anrechnen lassen muss.
Der BGH hat entschieden, dass auch bei einem Verbrauchsgüterkauf dem Verkäufer im Falle der Rückabwicklung des Vertrages nach § 346 BGB ein Anspruch auf Ersatz der Gebrauchsvorteile des Fahrzeugs während der Besitzzeit des Käufers zusteht.
Das Europäische Recht steht einem solchen Anspruch nicht entgegen. Die Entscheidung des EuGH vom 17.04.2008 (C-404/06 – NJW 2008, 1433) bezieht sich auf das Recht des Verbrauchers auf Ersatzlieferung, an dessen Geltendmachung dieser nicht durch eine Verpflichtung zum Nutzungswertersatz gehindert werden soll, nicht aber auf eine Rückabwicklung des Vertrages, bei der der Käufer – anders als bei der Ersatzlieferung – seinerseits den Kaufpreis nebst Zinsen zurückerhält. Dies steht auch in Einklang mit dem Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999, der eine Berücksichtigung der Benutzung der vertragswidrigen Ware bei einer Vertragsauflösung ausdrücklich gestattet.
BGH 16.09.2009 VIII ZR 243/08

VonHagen Döhl

Erstattung von Abschleppkosten

Wer sein Fahrzeug unbefugt auf einem Privatgrundstück abstellt, begeht verbotene Eigenmacht, derer sich der unmittelbare Grundstücksbesitzer erwehren darf, indem er das Fahrzeug abschleppen lässt; die Abschleppkosten kann er als Schadenersatz von dem Fahrzeugführer verlangen.
(BGH Urteil vom 05.06.2009 – V ZR 144/08)

VonHagen Döhl

BVerfG: Geschwindigkeitsmessung mittels Videoaufzeichnung auf Grundlage eines Erlasses verstößt gegen Willkürverbot

Wird eine Geschwindigkeitsmessung mittels Videoaufzeichnung als Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG auf eine Verwaltungsvorschrift (hier: Erlass) gestützt, verstößt dies gegen das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgende Willkürverbot. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit jetzt bekannt gewordenem Beschluss vom 11.08.2009 entschieden. Zwar könne das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse eingeschränkt werden. Dazu bedürfe es aber eines formellen Gesetzes, das dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist, so das BVerfG in seiner Begründung (Az.: 2 BvR 941/08).

VonHagen Döhl

50 cm Seitenabstand zu parkendem Pkw reichen aus

Das Kammergericht hat bestätigt, dass regelmäßig ein Seitenabstand eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw von mindestens 50 cm ausreicht. Herrsche Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahnseite des parkenden Pkw, so gehöre es nach § 14 Abs. 1 StVO zur Gefahrenminderungspflicht des nach links Aussteigenden, dass er die Tür nicht länger als unbedingt nötig offen lässt und sich nicht länger als unbedingt nötig auf der Fahrbahn aufhält.
KG, Beschluss vom 03.11.2008 – 12 U 185/08