Kategorien-Archiv Arbeitsrecht

VonHagen Döhl

Interessenausgleich mit Namensliste in der Insolvenz – Sozialauswahl – Auskunftspflicht

Die Auskunftspflicht über die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG gilt – bei einem entsprechenden Verlangen des Arbeitnehmers – auch in den Fällen eines Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz iSd. § 125 InsO uneingeschränkt.

Erfüllt der Insolvenzverwalter die Auskunftspflicht nicht bzw. nicht hinreichend ist die Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen.

ArbG Stuttgart 16. Kammer 24.07.2012 16 Ca 2422/12

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„Kettenbefristung“ und Rechtsmissbrauch

Das BAG hat entschieden, dass die Befristung eines Arbeitsvertrages trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein kann.
Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs könnten insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen, so das BAG.
Die Klägerin war beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des AG Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit ihrer Klage griff die Klägerin die Befristung des letzten im Dezember 2006 geschlossenen Vertrages an. Für diese Befristung lag zwar der Sachgrund der Vertretung vor. Die Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprechen aber dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt hat.
(BAG, Urt. v. 18.07.2012 – 7 AZR 443/09)

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Wie berechnet sich das Urlaubsentgelt?

Das Entgelt, das während des Urlaubs vom Arbeitgeber zu zahlen ist, nennt man Urlaubsentgelt. Die Höhe und Berechnung ist in §11 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) geregelt. Auch in den meisten Tarifverträgen gibt es Regelungen zum Urlaubsentgelt. Diese Regelungen gehen für tarifgebundene Arbeitnehmer/innen den gesetzlichen Regelungen vor.

Der §11 BUrlG sieht vor, dass der durchschnittliche Verdienst ohne Überstunden während des Urlaubs weitergezahlt werden muss. Als Grundlage für die Berechnung dieses durchschnittlichen Verdienstes sind gem. BUrlG die letzten 13 Wochen (ohne Überstundenentgelt und evtl. Überstundenzuschlägen) heranzuziehen. Dabei sind Lohnerhöhungen, die in dieser Zeit liegen und nicht nur vorübergehend sind, entsprechend zu berücksichtigen. Entgeltminderungen, die nicht von Dauer sind (z.B. Kurzarbeit oder Krankheit), müssen in der Berechnung unberücksichtigt bleiben.

Die Festlegung des Bezugszeitraums auf 13 Wochen (ca. exakt 3 Monate) soll erreichen, dass als Urlaubsentgelt auch wirklich der Durchschnittsverdienst gezahlt wird. Sind im Entgelt keine wöchentlichen oder monatlichen Schwankungen, ist die Berechnung des Urlaubsentgelts natürlich einfacher. Eine einfache Berechnung des Urlaubsentgeltes kann man z.B. machen, in dem man den erzielten Verdienst durch 65 (bei 5 Tage Woche: 13×5 Tage = 65 Tage) teilt und mit den Urlaubstagen multipliziert. Man kann auch den Stundenverdienst ausrechnen und entsprechend der Urlaubsstunden multiplizieren.

Das Urlaubsentgelt ist nach dem Gesetz vor dem Urlaub auszuzahlen (§11 Abs.2 BUrlG).

Das BUrlG sieht auch vor, dass Sachbezüge, die Bestandteil der Entlohnung sind und vom Arbeitgeber während des Urlaubes nicht weitergewährt werden, in Geld mit dem Urlaubsentgelt abzuzahlen sind.

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Unwirksamkeit der Kündigung wegen unzureichender Massenentlassungsanzeige

Unwirksamkeit der Kündigung wegen unzureichender Massenentlassungsanzeige
Das BAG hat entschieden, dass Fehler bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige nicht durch einen bestandskräftigen Bescheid der Arbeitsverwaltung geheilt werden.
Begehe der Arbeitgeber bei der Erstattung einer nach § 17 KSchG erforderlichen Massenentlassungsanzeige Fehler, werden diese durch einen bestandskräftigen Bescheid der Agentur für Arbeit nach §§ 18, 20 KSchG nicht geheilt. Die Arbeitsgerichte seien durch einen solchen Bescheid nicht gehindert, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige festzustellen, so das BAG.
Der Kläger war seit 1990 bei der Schuldnerin beschäftigt. Am 01.03.2009 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Auf der Grundlage eines noch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens mit seiner Zustimmung geschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste vom 24.02.2009 kündigte der Beklagte am 11.03.2009 das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2009. Am 26.02.2009 hatte die Schuldnerin Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet, ohne den Interessenausgleich beizufügen. Der Anzeige war entgegen der gesetzlichen Anordnung in § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt. Der Betriebsrat der Schuldnerin erklärte am 26.02.2009 allerdings schriftlich gegenüber der Agentur für Arbeit, er sei darüber informiert, dass eine Massenentlassungsanzeige abgesandt worden sei. Noch am 26.02.2006 bestätigte die Agentur für Arbeit den Eingang der Massenentlassungsanzeige. Später verkürzte sie die Sperrfrist. Der Kläger greift die Kündigung an, weil der Massenentlassungsanzeige keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt gewesen sei. Die Vorinstanzen sind dem gefolgt.
Das BAG hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.
Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats, ersatzweise des Interessenausgleichs mit Namensliste, sei Voraussetzung für eine wirksame Massenentlassungsanzeige. Das Schreiben des Betriebsrats vom 26.02.2009 an die Agentur für Arbeit enthielt keine eindeutige, abschließende Meinungsäußerung zu den angezeigten Kündigungen und war deshalb keine ordnungsgemäße Stellungnahme i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Der Bescheid der Agentur für Arbeit über die Verkürzung der Sperrfrist habe den Formfehler nicht geheilt. Die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige sei von der Bindungswirkung eines solchen Bescheids nicht umfasst.
(BAG 28.06.2012 6 AZR 780/1)

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Fehlende Tariffähigkeit der CGZP – Aussetzung von Lohnzahlungsverfahren

Der Streitgegenstand eines nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG eingeleiteten Verfahrens über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung erfasst neben dem im Beschlusstenor bezeichneten Zeitpunkt weitere Zeiträume, wenn die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften in diesen nur einheitlich beurteilt werden können.

Nach der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012 (- 24 TaBV 1285/11 ua. -) durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Mai 2012 (- 1 ABN 27/12 -) steht rechtskräftig fest, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzungen vom 11. Dezember 2002 und vom 5. Dezember 2005 nicht tariffähig war.

(BAG 23.5.2012 1 AZB 58/11)

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Betriebsübergang bei Rettungszweckverband

Das BAG hatte über den Betriebsübergang bei einem Rettungszweckverband zu entscheiden.

Der Kläger war Rettungssanitäter bei der D-GmbH. Dieser war auf der Grundlage des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG) durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vom Herbst 2006 vom beklagten Rettungszweckverband die Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransports in den Versorgungsbereichen Landkreis Leipzig und Döbeln bis zum 31.12.2008 übertragen worden. Die zur Durchführung des Rettungsdienstes notwendigen Einsatzfahrzeuge sowie die Räumlichkeiten der Rettungswachen in Borna und Groitzsch gehören dem Beklagten und wurden der D-GmbH zur Verfügung gestellt. Infolge finanzieller Schwierigkeiten und personeller Probleme konnte der Geschäftsführer der D-GmbH die ordnungsgemäße Leistungserbringung bis zum 31.12.2008 nicht mehr garantieren. Daraufhin kündigte der Beklagte den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der D-GmbH außerordentlich zum 23.12.2008. An diesem Tag gab die D-GmbH um 07.00 Uhr die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten frei und sämtliche überlassenen Rettungsmittel und Ausrüstungsgegenstände zurück. Die Notfallrettung und den Krankentransport führten sofort drei andere Unternehmen weiter durch. Diese hatte der Beklagte durch Heranziehungsbescheide vom 22.12.2008 dazu verpflichtet, zunächst bis zum 15.01.2009. Die Unternehmen nutzten jeweils einige der zuvor der D-GmbH überlassenen Einsatzfahrzeuge und Rettungswachen. Seit Mitte Januar 2009 führen sie die Notfallrettung und den Krankentransport auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Verträge für den Beklagten durch.

Vor dem BAG hatte die Klage auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses zum Beklagten keinen Erfolg.

Werde einer mit der Notfallrettung beauftragten privaten Hilfsorganisation dieser Auftrag gekündigt, so gehen die Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer infolge Betriebsübergangs nur dann auf den Träger des öffentlichen Rettungsdienstes über, wenn dieser die Notfallrettung selbst übernehme, nicht jedoch, wenn er andere private Hilfsorganisationen damit betraue.

Nach Auffassung des BAG ist das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf den Beklagten übergegangen. Der Beklagte sei nach der Herausgabe der Rettungsmittel nicht Betriebsinhaber eines Betriebs „Rettungsdienst“ geworden, da er einen solchen Betrieb zu keinem Zeitpunkt verantwortlich geführt habe. Die Heranziehung dreier Unternehmen ab dem 23.12.2009 durch Verwaltungsakt nach dem SächsBRKG habe nicht dazu geführt, dass der Beklagte Betriebsinhaber geworden sei.

Vorinstanz
LArbG Chemnitz, Urt. v. 24.09.2010 – 3 Sa 79/10

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Mehrarbeit ohne Vergütung

Bei Fehlen einer (wirksamen) Vergütungsregelung verpflichtet § 612 Abs. 1 BGB den Arbeitgeber, geleistete Mehrarbeit zusätzlich zu vergüten, wenn diese den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Eine entsprechende objektive Vergütungserwartung ist regelmäßig gegeben, wenn der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt bezieht.

Der Kläger war als Lagerleiter zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.800,00 € bei der beklagten Spedition tätig. Im Arbeitsvertrag hatten die Parteien eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden vereinbart. Bei betrieblichem Erfordernis sollte der Kläger ohne besondere Vergütung zu Mehrarbeit verpflichtet sein. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger – mit Erfolg – beim Landesarbeitsgericht und beim Bundesarbeitsgericht – Vergütung für 968 geleistete Überstunden.
Der Arbeitgeber schuldet dem Kläger nach § 612 Abs. 1 BGB Überstundenvergütung. Angesichts der Höhe des vereinbarten Bruttoentgelts war die Leistung von Überstunden nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten. Der vertragliche Ausschluss jeder zusätzlichen Vergütung von Mehrarbeit war wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Der Arbeitsvertrag lässt aus der Sicht eines verständigen Arbeitnehmers nicht erkennen, welche Arbeitsleistung der Kläger für das regelmäßige Bruttoentgelt schuldete. Er konnte bei Vertragsschluss nicht absehen, was auf ihn zukommen würde.
(BAG, 22.02.2012 – 5 AZR 765/10)

VonHagen Döhl

Keine Ablösung einzelvertraglicher Inbezugnahme durch (Haus-)Tarifvertrag

Ein Tarifvertrag kann selbst bei beiderseitiger Tarifgebundenheit eine Vereinbarung in einem Arbeitsvertrag nicht ablösen. Das gilt auch für nur aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbare Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR Caritas). Das Verhältnis der einzelvertraglichen, tarifvertraglichen Ansprüche zueinander ist nach dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zu klären.
(BAG, 22.02.2012 – 4 AZR 24/10).

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Wiedereinstellungsanspruch beim Betriebsübergang

Kommt es nach Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung während des Laufs der Kündigungsfrist zu einem Betriebsübergang oder wird ein solcher zwar noch nicht vollzogen, aber bereits beschlossen, so hat der gekündigte Arbeitnehmer gegen den Betriebserwerber einen Wiedereinstellungsanspruch.
Allein der Übergang eines Bewachungsauftrags von einem Auftragnehmer auf einen anderen ohne den Übergang identitätsprägender Betriebsmittel bzw. die Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft stellt keinen Betriebsübergang dar.
(BAG 15.12.2011 – 8 AZR 197/11).

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Betriebsübergang – Begriff des übergangsfähigen Betriebsteils

Auch nach der Rechtsprechung des EuGH muss der Betriebsübergang immer eine „wirtschaftliche Einheit betreffen, die nach dem Inhaberwechsel ihre Identität bewahrt“.
Es ist Sache der nationalen Gerichte, anhand der vom EuGH entwickelten Auslegungsgesichtspunkte festzustellen, ob ein Betriebsteilübergang vorgelegen hat, insbesondere, ob die übertragene wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt hat.
Dabei muss die Selbständigkeit der abgrenzbaren, organisatorischen, wirtschaftlichen Einheit beim Betriebserwerber nicht mehr vollständig erhalten bleiben. Sie muss aber beim Veräußerer vorhanden gewesen sein, um von einem übergangsfähigen Betriebsteil ausgehen zu können.
Es kann offen bleiben, ob ein Betriebsübergang auch auf einen gemeinschaftlichen Betrieb mehrerer Betriebserwerber erfolgen kann. Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Betriebserwerber muss die allgemeinen Voraussetzungen dieser Rechtsfigur erfüllen. Es müssen also in einer Betriebsstätte vorhandene materielle und immaterielle Betriebsmittel mehrerer Unternehmen für einen einheitlichen, arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft muss von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden. Mindestens stillschweigend müssen sich die Betriebserwerber zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben.
(BAG 10.11.2011 – 8 AZR 546/10)