Ausschlussfristen und Nachweisgesetz

VonHagen Döhl

Ausschlussfristen und Nachweisgesetz

Die Verletzung der Nachweispflicht gemäß § 2 NachwG führt nicht gemäß § 242 BGB zur Unanwendbarkeit vereinbarter Vertragsbedingungen. Die Nachweispflicht gemäß § 2 Abs. 1 NachwG besteht unabhängig von einer Aufforderung zur Aushändigung des schriftlichen Arbeitsvertrags.
Auf den Tarifvertrag, nicht auf tarifliche Ausschlussfristen muss gemäß § 2 Abs. 1 NachwG hingewiesen werden.
Ist ein Lohnanspruch gemäß einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen, weil der Arbeitnehmer wegen des unterbliebenen Hinweises auf den Tarifvertrag (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG) keine Kenntnis von der Ausschlussfrist hatte, muss der Arbeitnehmer nach Schadensersatzgrundsätzen
(§§ 280, 286 BGB) so gestellt werden, als wäre der Anspruch nicht verfallen. Der Arbeitnehmer hat die adäquate Verursachung darzulegen; ihm kommt aber die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens zugute.
Ein Abrechnungsverlangen stellt regelmäßig keine Geltendmachung des Zahlungsanspruchs im Sinne tariflicher Ausschlussfristen dar. Eine Verdienstbescheinigung gegenüber der Krankenkas-
se zum Zwecke der Berechnung von Krankengeld beinhaltet nicht ohne weiteres ein Anerkenntnis von Vergütungsansprüchen gegenüber dem Arbeitnehmer.
Hat der Prozessbevollmächtigte des Arbeitnehmers die Geltung einer tariflichen Ausschlussfrist fahrlässig nicht erkannt, hat eine Abwägung dieser Pflichtverletzung mit der Verletzung der Nachweispflicht zu erfolgen (§§ 254, 278 BGB). Im Gegensatz zu dem Arbeitnehmer muss sich der Rechtsanwalt über das anzuwendende Recht selbst informieren.

Hinweis für die Praxis:
Der Arbeitgeber ist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG verpflichtet, spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. In die Niederschrift ist jedenfalls ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge
aufzunehmen, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden waren (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG). Eines Einzelnachweises der Ausschlussfristen bedarf es nicht (BAG 17.04.2002 – 5 AZR 89/ 01).
Die Nachweispflicht besteht auch bei einer Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags gemäß § 5 Abs. 4 TVG. Die Verpflichtung des Arbeitgebers setzt ein entsprechendes Verlangen des Arbeitnehmers nicht voraus (vgl. § 4 NachwG). Das Gesetz will gerade auch den rechtsunkundigen Arbeitnehmer schützen.
Wenn der Arbeitgeber den Nachweis nicht vornimmt, hat er den durch Ablauf der Ausschlussfrist entstandenen Schaden (erloschener Anspruch) zu ersetzen. Schaden i.S.v. § 249 BGB ist das Erlöschen des Vergütungsanspruchs. Der Schadensersatzanspruch ist auf Naturalrestitution gerichtet. Er ist deshalb wie der Entgeltfortzahlungsanspruch auf einen Bruttobetrag gerichtet. Der Gläubiger kann verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Vergütungsanspruch nicht untergegangen. Der Schadensersatzanspruch ist in Höhe des erloschenen Arbeitsentgeltanspruchs begründet, wenn dieser nur wegen Versäumung der Ausschlussfrist erloschen ist und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht untergegangen wäre. Bei der Prüfung der adäquaten Verursachung kommt dem Arbeitnehmer die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens zugute. Danach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass jedermann bei
ausreichender Information seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise wahrt. Für eine abweichende Beurteilung ist der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig.
Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG ist daher zu vermuten, dass der Arbeitnehmer die tarifliche Ausschlussfrist beachtet hätte, wenn er auf die Geltung des Tarifvertrags hingewiesen worden wäre. Diese Auslegung des Nachweisgesetzes ist geboten, um den Zweck der Nachweisrichtlinie 91/ 533 EG (vom 14. Oktober 1991), den Arbeitnehmer vor Un-
kenntnis seiner Rechte zu schützen, wirksam zur Geltung zu bringen. Der Arbeitnehmer könnte im Regelfall kaum nachweisen, dass er bei ordnungsgemäßem Verhalten des Arbeitgebers die Ausschlussrist beachtet hätte. Dem Arbeitgeber bleibt die Möglichkeit, diese tatsächliche Vermutung zu widerlegen (BAG 17. April 2002 – 5 AZR 89/01).
Die Tatsachen – Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs – sind vom Arbeitnehmer darzulegen. Über eine fehlende Darlegung hilft auch die Vermutung des aufklärungsgemäßen Verhaltens nicht hinweg. Beweisregeln ersetzen nicht den Parteivortrag. Der Kläger hat noch ausdrücklich behauptet, er habe nicht gewusst, dass die Ausschlussfrist auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finde, und er hätte bei rechtzeitigem Nachweis die Ausschlussfrist beachtet.
In Betracht kann auch ein mögliches Mitverschulden des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers kommen. Wusste dieser, dass auf das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers der Tarifvertrag Anwendung fand, kommt ein überwiegendes Mitverschulden in Betracht, das sich der Arbeitnehmer nach § 278 BGB zurechnen lassen muss (vgl. hierzu BAG 29.05.2002 – 5 AZR 105/01). Hat der
Prozessbevollmächtigte des Arbeitnehmers die Geltung des Tarifvertrages fahrlässig nicht erkannt, hat eine Schadensteilung gemäß § 254 Abs. 1 BGB nach dem festzustellenden Gewicht der beiderseitigen Pflichtverletzungen und des beiderseitigen Verschuldens zu erfolgen. Im Gegensatz zu dem Arbeitnehmer muss sich der Rechtsanwalt über das anwendbare Recht selbst informieren; denn er wird gerade zum Zweck der Rechtswahrung von dem Arbeitnehmer beauftragt.
Ein etwaiger Schadensersatzanspruch besteht mit dem Verfall des Anspruchs durch die Ausschlussfrist, ohne dass es auf Kenntnis und Fälligkeit des Anspruchs (vgl. nur BAG 16.05.1984 – 7 AZR 143/81) ankäme.
BAG 05.11.2003 – 5 AZR 676/02

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