Der Verkäufer kann beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) vom Verbraucher im Falle der Ersatzlieferung für eine mangelhafte Ware entgegen dem Wortlaut von § 439 Abs. 4, § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB keinen Wertersatz für die Nutzung der zunächst gelieferten Kaufsache verlangen. Denn eine solche Verpflichtung wäre nicht mit Art. 3 der europäischen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/44/EG) vereinbar, führte der Bundesgerichtshof aus (Urteil vom 26.11.2008, Az.: VIII ZR 200/05). Mit dem Urteil setzt der BGH eine Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs um (NJW 2008, 1433).
Eine Verbraucherin hatte im Sommer 2002 bei der Beklagten, einem Versandhandelsunternehmen, ein Herd-Set zum Preis von rund 525 Euro gekauft. Im Januar 2004 stellte die Kundin fest, dass sich die Emailleschicht im Backofen abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen aus. Für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Gerätes verlangte sie rund 70 Euro, die die Käuferin entrichtete. Dies erachtete der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände e.V. für unzulässig. Er forderte aufgrund einer Ermächtigung durch die Käuferin von der Beklagten die Rückzahlung der 70 Euro. Weiterhin verlangte er von der Beklagten, es zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände von Verbrauchern Zahlungen für die Nutzung der zunächst gelieferten Ware zu verlangen. Das Landgericht hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und den Unterlassungsantrag abgewiesen (NJW 2005, 2558). Das Oberlandesgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen (NJW 2005, 3000). Dagegen haben beide Parteien Revision eingelegt.
Zunächst hatte der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Einklang steht. Nach dem daraufhin ergangenen Urteil des EuGH ist Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG «dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen.»
Nachdem der EuGH entschieden hatte, hat der BGH die Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung der Klage auch hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs begehrt hatte, zurückgewiesen. Dagegen hat er der Revision des Klägers, mit der dieser seinen Unterlassungsantrag weiter verfolgt hatte, stattgegeben. § 439 Abs. 4 BGB sei im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) entgegen seinem Wortlaut einschränkend anzuwenden, argumentierte der BGH. Die durch § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346 bis 348 BGB) würden nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst greifen. Beim Verbrauchsgüterkauf würden sie hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache führen. Diese Einschränkung sei erforderlich, weil eine Verpflichtung des Käufers zur Zahlung von Nutzungsersatz nach der Entscheidung des EuGH mit Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG nicht vereinbar sei. An diese Entscheidung seien die nationalen Gerichte gebunden.
Sie seien zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräume, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (richtlinienkonforme Auslegung). Dieser von der Rechtsprechung des EuGH geprägte Grundsatz verlange von den nationalen Gerichten mehr als nur eine Rechtsfindung innerhalb des Gesetzeswortlauts (Auslegung im engeren Sinne). Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung erfordere darüber hinaus, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich sei, richtlinienkonform fortzubilden. Daraus folge hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch Beschränkung des § 439 Abs. 4 BGB auf einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt, so der BGH.
Dies stehe im Einklang mit dem Grundsatz der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), betonen die Karlsruher Richter. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass eine planwidrige Regelungslücke bestehe, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen sei. Aus den Gesetzesmaterialen gehe hervor, dass der Gesetzgeber die Absicht gehabt habe, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, jedoch irrtümlich davon ausgegangen sei, § 439 Abs. 4 BGB sei im Falle des Verbrauchsgüterkaufs mit Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar (BT-Drs. 14/6040, 232 f.). Dies werde dadurch bestätigt, so der BGH, dass der Gesetzgeber nunmehr der Entscheidung des EuGH Rechnung tragen und durch eine Gesetzesänderung eine richtlinienkonforme Umsetzung der Richtlinie herbeiführen wolle (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15.10.2008, BT-Drs. 16/10607, 4, 5 f.).
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